Müllers Abschiedsschmerz und Kimmichs Klartext
Veröffentlicht: Donnerstag, 17.04.2025 11:17

Kein Finale dahoam
Mailand (dpa) - Auch die extra nach Mailand gereisten Eltern von Thomas Müller konnten den Abschiedsschmerz ihres Sohnes nach dem Ende der 16 Jahre langen Champions-League-Reise im Bayern-Trikot nicht lindern.
Klaudia und Gerhard Müller litten in der Unwetternacht erst beim bitteren Viertelfinal-Aus gegen Inter im legendären Stadion San Siro mit. Und sie waren auch nach Mitternacht im Teamhotel beim Bankett des erneut vor dem ausgerufenen Ziel gescheiterten Münchner Star-Ensembles dabei.
Doch was hätte trösten können in dieser Nacht? «Das Finale wäre halt in München gewesen», sagte Müller stöhnend. Die volle emotionale Wucht nach dem für ihn und den FC Bayern zwei Schritte zu früh geplatzten Traum vom Finale dahoam erfasste den 35-Jährigen erst mit einiger Verzögerung.
Fan-Liebe sorgt für «Gänsehaut» bei Müller
Müller hatte nach dem ungenügenden 2:2 im Viertelfinal-Rückspiel gerade ein TV-Interview beendet, als die noch hoch oben in ihrem Stadionblock ausharrenden Bayern-Fans lautstark seinen Namen riefen. Und den Ur-Bayern in Sprechchören ihre ewige Zuneigung spüren ließen.
«Ich habe heute keine sentimentalen Momente parat. Aber da hat der Körper reagiert, da hatte ich einen leichten Anflug von Gänsehaut», erzählte Müller später. Schluss. Aus. Ende. Müllers 163. Königsklassen-Einsatz - noch dazu in der Startelf - endete nicht mit dem Happy End, das er sich so sehr gewünscht hatte. Die märchenhafte Krönung der Abschiedstour bei seinem Herzensclub am 31. Mai in der Allianz Arena fällt aus.
Müllers Spielanalyse nach dem 3:4 im Gesamtergebnis war einfach. «Inter hat ein Tor mehr gemacht in beiden Spielen. Und im Fußball geht es eben darum, mehr Tore zu erzielen», sagte Müller. Inter habe etwas besser gemacht als die Bayern. Müller sprach etwa von «richtig plumpen» Gegentoren und «nicht genug Killerinstinkt» bei eigenen Torchancen.
Eberl irritiert mit Aussage
Im Kreise etlicher Schönredner war ansonsten Joshua Kimmich mal wieder derjenige, der nach der zweiten verspielten Titelchance kritische Worte und Einordnungen fand. «Wenn wir nicht die Meisterschaft holen, ist es wieder eine schlechte Saison», sagte der 30-Jährige.
Seit dem letzten Königsklassen-Triumph 2020 mit Ex-Coach Hansi Flick, der nun mit Barcelona auf Inter trifft, sind die Bayern viermal im Viertelfinale und einmal im Halbfinale (2024) ausgeschieden. Dass Sportvorstand Max Eberl von «einer für mich guten Champions-League-Saison» sprach, irritierte die Zuhörer.
Kritischer Kimmich wirbt für Kompany
Kimmich ordnete den Gesamtauftritt nach acht Siegen, zwei Unentschieden und vier teilweise heftigen Niederlagen dagegen als nicht ausreichend ein für ein Spitzenteam mit höchsten Ansprüchen. «Wir haben nicht viele europäische Topteams geschlagen», sagte der DFB-Kapitän und verwies auf die beiden Achtelfinalsiege gegen Leverkusen und das gewonnene Heimspiel gegen Paris Saint-Germain in der Ligaphase.
Die Muster beim Scheitern wiederholen sich. Kimmich spürt das. Auch in der von ihm angeführten Nationalmannschaft gab es das große Erwachen und Umdenken erst nach drei Turnierflops von 2018 bis 2022.
Hoeneß wird angestachelt reagieren
Es braucht eine härtere interne Aufarbeitung. Und auf gewissen Positionen eine personelle Erneuerung. Bayern-Patron Uli Hoeneß wird am Tegernsee nun noch angestachelter sein, Wunschspieler Florian Wirtz nach München zu lotsen - koste es, was es wolle.
Chefkritiker Kimmich mochte aber nicht den Alarmknopf drücken. «Wenn wir ein Qualitätsproblem hätten, würden wir es nicht schaffen, die dominierende Mannschaft auf dem Platz zu sein. Wir müssen Ergebnisse ziehen», sagte er. Und fügte hinzu: «Ich bin vom Team, vom Weg und vor allem auch vom Trainer völlig überzeugt.»
Kontinuität und Geduld auf dem Chefcoach-Posten, auch das ist, was die Bayern-Bosse nach Jahren des Heuerns und Feuerns dringend beherzigen müssten. «Die harte Realität ist, wir können nicht das Heimfinale spielen», sagte Kompany. Der 39-Jährige sprach von «gemischten Gefühlen», weil er in beiden Spielen gegen Inter «ein gutes Bayern München» gesehen hatte. «Aber im Moment ist es natürlich hart.»
Eberl berichtete, dass «Vincent großartige Worte» in der Kabine gefunden hat. In fünf Monaten komme das nächste Königsklassen-Heimspiel und danach noch viele weitere in München, sagte Kompany. Und in zwei Monaten bei der Club-WM in den USA sowie davor in der Bundesliga gebe es ebenfalls «Trophäen zu gewinnen», sagte der Belgier, der als x-ter Kandidat Tuchel-Nachfolger wurde.
Dreesen: Müller im Olymp
Der Sommer wird spannend in München. Vorstandschef Jan-Christian Dreesen versuchte in der kollektiven Niedergeschlagenheit den verbalen Spagat zwischen Trost spenden und dem Blick in die nahe Zukunft. «Wir hatten alle diesen Traum vom Finale dahoam, vom Titel dahoam, wie ich mal gesagt habe. Er ist geplatzt. Und wir alle sind traurig darüber.»
Der 57-Jährige nahm dann eine Anleihe bei seinem Vor-Vorgänger Karl-Heinz Rummenigge, der gesagt habe: «Die Champions League ist die Kirsche, nicht die Torte. Die Torte ist die Meisterschaft. Und da haben wir noch fünf Spiele vor uns.» Sechs Punkte Vorsprung vor Leverkusen müssen über die Ziellinie gebracht werden, angefangen am Samstag beim 1. FC Heidenheim.
In Heidenheim wieder «parat» sein
Da müssen wir «wieder parat zu sein, um wenigstens die Meisterschaft einzutüten», mahnte Eberl. Kimmich zweifelt nicht: «Nach einer Niederlage, nach einem Aus ist es einfacher, eine Reaktion zu zeigen», meinte er. «Wenn wir hier 3:0 gewonnen hätten, würde ich mir mehr Sorgen machen. So gibt es keine Ausrede. Wir müssen mindestens drei Spiele gewinnen.»
Noch fünf Ligaspiele und maximal sieben Einsätze bei der auch finanziell wichtigen XXL-Club-WM erwarten auch Müller noch. Dreesen würdigte den zweimaligen Triple-Gewinner in seiner Bankett-Ansprache in höchsten Tönen.
«Thomas ist heute in den Olymp der drei Rekordspieler der Champions League aufgestiegen. Mit 163 Spielen hat er gleichgezogen mit Lionel Messi. Das ist eine außergewöhnliche Leistung, eine Lebensleistung», sagte der Boss. Die Edelfans im Saal applaudierten. Müller und auch seine Eltern hatten sich freilich noch drei Spiele mehr erhofft.
